05.08.2010 - Gewährung von Beihilfe für eine Spezialrollstuhlrampe (Urteil von 2005)
Urteil
14.03.2005
Gericht: VG Neustadt
Aktenzeichen: 6 K 1554/04.NW
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Januar 2004 und des Widerspruchsbescheides vom 13. Mai 2004 verpflichtet, dem Kläger Beihilfe zu den Kosten der Spezialrampe für den Elektrorollstuhl in Höhe von 761,08 Euro zu bewilligen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Beihilfeleistungen zu seinen Aufwendungen für die Anschaffung einer Spezialrampe für den Elektrorollstuhl seines 1988 geborenen Sohnes.
Die Spezialrampe wurde am 20. November 2003 ärztlich verordnet wegen einer bestehenden Muskeldystrophie. Der Kläger verwies in seinem Beihilfeantrag vom 11. Januar 2004 darauf, dass der Elektrorollstuhl ein Gewicht von ca. 120 kg habe und nicht ins Fahrzeug gehoben werden könne. Zwei Schienen zum Auffahren in den Bus genügten nicht, da der Rollstuhl dann umkippen würde, weil das hintere Stützrad in der Luft hänge.
Der Beklagte lehnte die Beihilfefähigkeit des Hilfsmittels mit Bescheid vom 28. Januar 2004 ab mit der Begründung, es handele sich um einen Gegenstand der den allgemeinen Lebenshaltungskosten zugeordnet werde.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, der Gegenstand sei notwendig und angemessen, um den Elektrorollstuhl auch außerhalb des Wohnbereichs nützen zu können. Er könne wegen seines Gewichts weder in ein privates Fahrzeug noch in öffentliche Verkehrsmittel ein- und ausgeladen werden. Die Rampe sei zusammenklappbar und könne mitgenommen werden. Es handele sich um ein Ergänzungsgerät für den Rollstuhl, das auch bei der Überwindung von Treppen benötigt werde.
Mit Widerspruchbescheid vom 13. Mai 2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, gemäß Ziffer 1.8 der Verwaltungsvorschrift vom 26. Juni 1997 (MinBl. S. 345) seien Basisrampen, zu denen die verordnete Spezialrampe gehöre, von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Auch Kosten für die behindertengerechte Ausstattung eines Kraftfahrzeugs seien nicht beihilfefähig. Die Fürsorgepflicht gebiete keine Erstattung dieser Aufwendungen.
Der Kläger hat am 9. Juni 2004 Klage erhoben. Er trägt vor, er habe von Anfang an dargelegt, dass der Einsatz des kostenmäßig erstatteten Elektrorollstuhls nur bei Vorhandensein eines ergänzenden Hilfsgeräts zur Verbringung in einen Bus sinnvoll sei. Es sei ihm nicht verständlich, dass einerseits die Anschaffung des Rollstuhls akzeptiert worden sei, jedoch gleichzeitig dessen Nutzung praktisch unmöglich gemacht werde. Die Rampe erleichtere nicht lediglich eine Unbequemlichkeit des Lebens, sondern sei aufgrund der körperlichen Situation seines Sohnes, die sich immer mehr verschlechtere, erforderlich.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 13. Mai 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm Beihilfe zu den Kosten der Spezialrampe für den Elektrorollstuhl seines Sohnes in Höhe von 761,08 Euro zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist erneut auf die von ihm herangezogene Verwaltungsvorschrift und auf die angefochtenen Entscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsunterlagen Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Bewilligung von Beihilfeleistungen zu den Kosten der angeschafften Spezialrampe für den vorhandenen Elektrorollstuhl "Turbo Twist" seines Sohnes.
Gemäß §§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 9 Beihilfeverordnung - BVO - sind beihilfefähig die notwendigen und angemessenen Aufwendungen des Beihilfeberechtigten für die Anschaffung der vom Arzt zuvor schriftlich verordneten Hilfsmittel. Zu diesen Hilfsmitteln gehört die Spezialrampe, die zur Nutzung des bereits vorhandenen und beihilferechtlich erstatteten Elektrorollstuhls benötigt wird.
Hilfsmittel im Sinne der Beihilfeverordnung sind Gegenstände, die - ohne Heilmittel oder Körperersatzstücke zu sein - zur Linderung, Besserung, Behebung oder Beseitigung der Folgen eines regelwidrigen Körperzustandes geeignet sind, sofern die Anschaffungskosten nicht den Aufwendungen für die allgemeine Lebenshaltung zuzurechnen sind (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. März 1993 - 2 A 11607/92.OVG - m.w.N.). Entsprechend dieser Definition grenzt die zu § 4 Abs. 1 Nr. 9 BVO ergangene Verwaltungsvorschrift des Beklagten vom 26. Juni 1997 (MinBL. S. 345) die unter Ziffer 1.1 aufgenommenen beihilfefähigen Hilfsmittel von den "Gegenständen der allgemeinen Lebenshaltung", welche beispielhaft unter Ziffer 1.8 der Verwaltungsvorschrift aufgezählt werden, ab. Die vom Kläger angeschaffte Spezialrampe gehört nach dieser Abgrenzung zu den beihilfefähigen Hilfsmitteln, und zwar als Zusatzgerät zum Elektrorollstuhl gemäß Ziffer 1.1 der Verwaltungsvorschrift ( Krankenfahrstuhl mit Zubehör).
Wie der Kläger überzeugend vorgetragen hat, ist die Nutzung des Elektrorollstuhls im außerhäuslichen Bereich, zum Beispiel auf Ausflugsfahrten mit dem privaten PKW der Familie oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Überwindung größerer Treppen, nur unter Zuhilfenahme der hierfür vorgesehenen Spezialrampe möglich. Dies ist angesichts des hohen Gewichts des Elektrorollstuhls nachvollziehbar. Die vom Kläger beschriebene außerhäusliche Nutzung des Rollstuhls unter Mitnahme der zusammenklappbaren Spezialrampe vor allem bei Ausflugsfahrten der Familie ermöglicht seinem mittlerweile 16-jährigen Sohn einen altersentsprechend erweiterten Aktionsradius. Hierbei ersetzt der Elektrorollstuhl erst im Zusammenwirken mit der Rampe die natürliche Funktion des Gehens und der angemessenen Fortbewegung vor allem in außerhäuslicher Umgebung. Das Zusatzgerät zum Rollstuhl wird damit im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt, denn hierzu gehört auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfasst (vgl. VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 24. April 1996 - 4 S 3208/94 -, IÖD 1996, 223 ff. zur Beihilfefähigkeit eines Rollfiets, vgl. dazu auch noch OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 1998 - 6 A 505/97 -, zitiert nach Juris).
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Spezialrampe kein Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung. Der allgemeinen Lebenshaltung dienen nämlich nur diejenigen Hilfsmittel, die üblicherweise herangezogen werden, um die "Unbequemlichkeiten" des Lebens zu erleichtern und die aufgrund ihrer objektiven Eigenart und Beschaffenheit keinen unmittelbaren Bezug zu dem festgestellten Krankheitsbild haben (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. März 1993, a.a.O.). Dies ist der Fall, wenn ein Gegenstand nach seiner objektiven Eigenart und Beschaffenheit auch von einem Gesunden im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung üblicherweise genutzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 1991 - 2 C 223/89, DÖD 1991, 203; VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 26. April 1996, a.a.O.). Anders verhält es sich dagegen mit solchen Hilfsmitteln, die aufgrund des Krankheitsbildes dazu bestimmt sind, die natürlichen Funktionen eines nicht oder nicht voll funktionstüchtigen Körperorgans zu ersetzen und zu ergänzen. Sollen - wie hier dargelegt - grundlegende Körperfunktionen durch ein Hilfsmittel überhaupt erst ermöglicht werden, kann in dem Hilfsmittel kein Gegenstand der allgemeinen Lebenshaltung gesehen werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. März 1993, a.a.O.). Die Spezialrampe ist auch kein Gegenstand, der üblicherweise von Nichtbehinderten im Rahmen der allgemeinen Lebenshaltung genutzt wird. Insbesondere handelt es sich entgegen der Auffassung des Beklagten hier nicht um eine in Ziffer 1.8 der Verwaltungsvorschrift von der Beihilfe ausgeschlossene Basisrampe oder einen Autokofferraumlifter, die zum Einbau in ein Kraftfahrzeug vorgesehen sind und dort, unabhängig von der Erkrankung oder Behinderung der Insassen, nutzbar sind. Die streitgegenständliche Rampe wird gerade nicht in das Kraftfahrzeug der Familie fest eingebaut. Sie wird nur im Zusammenhang mit dem Elektrorollstuhl genutzt. Ein Zweck außerhalb der Nutzung des Rollstuhls, der auch für Nichtbehinderte sinnvoll wäre, kommt ihr nicht zu. Damit ist die Rampe Zubehör zum Krankenfahrstuhl. Eine Begrenzung des Zubehörbegriffs auf Sitzkissen, Fußstützen oder ähnliches lässt sich der Verwaltungsvorschrift des Beklagten nicht entnehmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. April 1996, a.a.O.). Schließlich bestehen im Hinblick auf die einmaligen Anschaffungskosten in Höhe von 761,08 Euro keine Bedenken gegen die beihilferechtliche Angemessenheit der streitgegenständlichen Aufwendungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten und die Abwendungsbefugnis für den Beklagten folgen aus §§ 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.