Das Leben mit Hartz IV: B.Z.-Serie (4)
Hartz IV kontrovers: Die einen klagen auf mehr Geld, die anderen arbeiten lieber - für 1,50 die Stunde.
Hände lässig in den Hosentaschen, Hüfte seitlich herausgestreckt, Sonnenbrille. Wie ein Model hat sich Sina K.* (33) vor dem Gericht in Mitte aufgebaut. Sie wirkt selbstgefällig, trotzig.
Sina K.* (33) fordert von ihrem Jobcenter 999 Euro, weil sie Musikproduzentin werden möchte
Die Spandauerin ist eine von rund 32000 Berlinern, die im Jahr Klage beim Sozialgericht einreichen.
Sina K. will von ihrem Jobcenter 999 Euro. Als Zuschuss, weil sie sich als Musikproduzentin selbstständig machen möchte. „Brauche ich als Einstiegsgeld, um CDs zu pressen“, sagt sie. 642 Euro Hartz IV bekommt Sina K. bereits monatlich vom Amt. Dazu bewilligte man ihr 2009 noch mal ein halbes Jahr 175 Euro im Monat extra. Als Starthilfe für ebenjene Geschäftsidee.
„Ich schreibe Stücke“, erklärt sie vor dem Richter. „Ursprünglich klassische Musik, jetzt mehr in Rap-Richtung.“ Ihre Ausbildung zur elektronischen Musikproduzentin auf einer privaten Schule schloss sie 2006 ab. Sie behauptet: „Ich kann mit meiner Musik 100-prozentig Geld verdienen.“ Angeblich kennt sie viele Leute, die an ihren Stücken interessiert sind. „Das läuft!“, sagt Sina K., „allerdings nicht ohne Zuschuss oder ein Darlehen.“ Das Gericht will wissen, warum sie mit ihrer Tätigkeit bisher keine Umsätze erzielt hat. Antwort: „Ich lag ein Jahr krank im Bett.“
Klage abgewiesen. Der Richter begründet: „Ich glaube nicht, dass Sie es schaffen können, durch ein Darlehen ihre Hilfebedürftigkeit zu überwinden.“ Sina K. will jetzt Widerspruch einlegen.
● Sein Arbeitsplatz ist knapp fünf Quadratmeter groß, nur ein ausgebauter Bauwagen. Dennis Lonk (26) kniet auf dem Boden, lässt Weizenkörner in einen Futtertrog rieseln.
Dennis Lonk (26) macht lieber für 1,50 Euro die Stunde Tauben-Dreck weg, als vor dem Fernseher zu hocken.
Der Reinickendorfer ist einer von 36500 Hartz-IV-Empfängern in Berlin, die für 1-1,50 Euro arbeiten gehen.
Seit Mitte September versorgt der Hartz-IV-Empfänger einen Taubenschlag an der Meteorstraße. Er kommt fünfmal die Woche, kümmert sich für sechs Stunden um die 20 Tiere, mistet den Schlag aus. An einem Tag verdient er 9 Euro.
„Der Job erfüllt mich“, sagt Dennis Lonk, „ich bin so froh, dass ich gebraucht werde.“
Ein Gefühl, das er lange nicht hatte. 2003 beginnt er eine Tischlerlehre, bricht sie kurz vor der Prüfung ab. Persönliche Probleme, Angst, es nicht zu schaffen. Er beantragt Stütze, der Kreislauf beginnt: Hartz IV, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Hartz IV.
Zu Hause hockt er nur vor dem Fernseher. Irgendwann fällt ihm die Decke auf den Kopf. Er beschließt: „Ich will kein Schmarotzer mehr sein. Geld kassieren, nicht arbeiten gehen – so geht’s nicht weiter.“ Jetzt arbeitet er lieber im Dreck, als bis 14 Uhr zu schlafen. Das Jobcenter Reinickendorf hat ihm noch mal eine Chance gegeben. Heike Voß (50), Chefin des Tauben-Projekts, ist zufrieden mit ihm. „Wenn er weiter so engagiert arbeitet, bieten wir ihm eine Ausbildung zum Tischler an.“
Für Dennis Lonk wäre das der erste Schritt in die finanzielle Unabhängigkeit. „Diesmal ziehe ich es durch“, sagt er, „ich will weg von Hartz IV.“